Reiter

Unter den Talaren - Muff von 1000 Jahren

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Es ist der 9. November 1967, im Auditorium Maximum, dem größten Hörsaal der Universität Hamburg soll das Rektorat der Universität feierlich von Karl-Heinz Schäfer an Werner Ehrlicher übergeben werden. Während der Feier gehen die in Talare gekleideten Professor*innen in einer Reihe eine lange Treppe hinunter, angeführt vom ehemaligen und neuen Rektor. Noch davor laufen zwei protestierende Studenten: Gert Hinnerk Behlmer und Detlev Albers. In den Händen halten sie ein Transparent, dessen Schriftzug schlagartig berühmt wird: „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“. Der Reim enthält eine doppelte Kritik: einerseits stehen die Talare (lange traditionelle Gewänder, die seit dem Mittelalter in Universitäten zu offiziellen Anlässen getragen wurden) symbolisch für die verkrusteten, traditionell autoritären und hierarchischen Strukturen der Universität. Andererseits steht der Muff von 1000 Jahren für das Fortleben des Nationalsozialismus im demokratischen Nachkriegsdeutschland. Der NS wollte in Deutschland ein tausendjähriges Reich erschaffen. Das Transparent kritisiert damit, dass die düstere Vergangenheit von Universität und Professor*innen im Nationalsozialismus nicht aufgearbeitet wurde. So war zum Beispiel der neue Rektor Werner Ehrlicher über einige Jahre ranghoher Soldat der Wehrmacht. Weil sie die Aufschrift des Banners nicht lesen können, schreiten die Professor*innen ahnungslos hinter den beiden Studenten her.
Die Provokation hat Erfolg: der Professor für Islamkunde Bertold Spuler, der Mitglied der NSDAP und SA war, schreit den Studenten entgegen: „Sie gehören alle ins Konzentrationslager“ – und beweist damit, wie wichtig die Kritik der Studenten ist. In der Presse wird anschließend nur sehr wenig über die Kritik an der unterlassenen Aufarbeitung berichtet. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Kritik an den Strukturen der Universität und der Forderung nach studentischer Mitbestimmung. Der Spruch und das Transparent werden zum Symbol der sogenannten 68er Bewegung, die später Erfolg haben wird: die Universitäten werden reformiert und Studierende erhalten mehr Mitbestimmungsrechte. Über die Bewegung sagt Detlev Albers, einer der beiden Studenten, später: „Wir kämpften gegen die Notstandsgesetze, gegen den Vietnam-Krieg und für nichts weniger als eine Umwälzung der gesamten Gesellschaft“.

Studentische Demonstrant*innen 1968 in West-Berlin | Ludwig Binder, Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland / CC BY-SA 2.0