Geschichte der Arbeiter*innenbewegung - Teil 3 - Nach 1945 bis heute

In diesem 3. und letzten Teil beschäftigen wir uns mit der jüngeren Geschichte, beginnend mit dem Wiederaufbau Deutschlands, Gewerkschaften in der Nachkriegszeit, Auseinandersetzungen um Mitbestimmung innerhalb und ausserhalb der Werkstore, werfen einen Blick auf den Radikalenerlass, die Friedens- und die Lehrlingsbewegung.

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Geschichte der  Arbeiter*innenbewegung III                         

Nach 1945 bis heute

In diesem 3. und letzten Teil beschäftigen wir uns mit der jüngeren Geschichte, beginnend mit dem Wiederaufbau Deutschlands, Gewerkschaften in der Nachkriegszeit, Auseinandersetzungen um Mitbestimmung innerhalb und ausserhalb der Werkstore, werfen einen Blick auf den Radikalenerlass, die Friedens- und die Lehrlingsbewegung. Wir schauen uns die großen Streiks zur Arbeitszeitverkürzung an und beschäftigen uns mit dem FDBG (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund in der DDR) und mit der Gewerkschaftspolitik von heute.

Viel Spaß bei Teil 3 der Selbstlerneinheit Geschichte der Arbeiter*innenbewegung 

Die Auseinandersetzung um das Betriebsverfassungsgesetz in den 1950er Jahren war ein entscheidender Moment in der Geschichte der deutschen Arbeiter*innenbewegung und der Entwicklung der betrieblichen Mitbestimmung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Deutschland zunächst verschiedene Ländergesetze zur Betriebsverfassung. Die Gewerkschaften hofften auf eine umfassende Mitbestimmung der Arbeitnehmenden auf allen Ebenen der Wirtschaft - im Betrieb, im Unternehmen und in der Gesamtwirtschaft.

Nie wieder Krieg und nie wieder Faschismus war dabei der Leitsatz der Gewerkschaften. In der boomenden Nachkriegszeit setzte sich das Kapital schnell wieder durch, die Auseinandersetungen nahmen zu. 1951 wurde zunächst das Montanmitbestimmungsgesetz für die Kohle- und Stahlindustrie durchgesetzt. Die Gewerkschaften hofften, dieses Modell der Mitbestimmung auf die gesamte Wirtschaft übertragen zu können. Der Gesetzentwurf der Regierung für ein allgemeines Betriebsverfassungsgesetz blieb jedoch weit hinter den Erwartungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zurück.

Daraufhin kam es zu Protestaktionen der Gewerkschaften:

  • Im Mai 1952 organisierte die IG Druck und Papier einen "Zeitungsstreik", bei dem für zwei Tage keine Zeitungen erschienen.
  • Der DGB plante weitere Streiks anderer Gewerkschaften.

Diese Aktionen führten jedoch zu einem Sympathieverlust in der Öffentlichkeit. Der Zeitungsstreik wurde teilweise als Angriff auf die Pressefreiheit wahrgenommen.

Gegen den erbitterten Widerstand der Gewerkschaften wurde das Betriebsverfassungsgesetz am 19. Juli 1952 schließlich gegen die Stimmen von SPD und KPD im Bundestag verabschiedet. Es trat am 14. November 1952 in Kraft. Das Gesetz blieb in seinen Mitbestimmungsrechten deutlich hinter dem Montanmitbestimmungsgesetz zurück. Es sah folgende Regelungen vor:

  • Betriebsräte erhielten ein Einspruchsrecht in personellen Angelegenheiten
  • Auf wirtschaftliche Entscheidungen der Unternehmensleitung hatten sie keinen Einfluss
  • In Aktien- und Kommanditgesellschaften wurde eine Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat eingeführt

Die Gewerkschaften waren von der Umsetzung und dem Gesetzesbeschluss sehr enttäuscht. Die Auseinandersetzung um das Betriebsverfassungsgesetz hatte weitreichende Folgen:

  • Es entbrannte eine juristische Kontroverse um das Recht zum politischen Streik 
  • Die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte und des Bundesarbeitsgerichts schränkte in den folgenden Jahren das Streikrecht der Gewerkschaften weiter ein.
  • Viele Gewerkschafter kritisierten die Verhandlungsführung des DGB-Bundesvorstands als zu wenig kämpferisch.
  • Das Gesetz galt nicht für Verwaltungen und den öffentlichen Dienst und spaltete die Arbeitnehmendenschaft weiter

In den folgenden Jahren versuchten die Gewerkschaften, durch Tarifverträge zusätzliche Rechte für Betriebsräte zu vereinbaren, die über das Gesetz hinausgingen.

Erst 1972 kam es unter der sozialliberalen Koalition zu einer umfassenden Reform des Betriebsverfassungsgesetzes. Diese stärkte die Rechte der Betriebsräte deutlich:

  • Erweiterung der Mitbestimmungsrechte bei der Gestaltung von Arbeitsplatz und Arbeitsabläufen
  • Stärkere Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen und in sozialen Angelegenheiten
  • Einführung des Zutrittsrechts für Gewerkschaften zu den Betrieben
  • Aufhebung der deutschen Staatsangehörigkeit als Voraussetzung für die Wahl in den Betriebsrat

Diese Reform wird bis heute als wichtiger Meilenstein für die betriebliche Mitbestimmung in Deutschland angesehen.

Der Radikalenerlass, auch als Extremistenbeschluss bekannt, wurde am 28. Januar 1972 von Bund und Ländern verabschiedet. Ziel war es, sogenannte Verfassungsfeinde vom öffentlichen Dienst fernzuhalten. In der Praxis führte dies zu massiven Überprüfungen und Berufsverboten, die hauptsächlich Personen aus dem linken politischen Spektrum trafen. Hier nebenan kannst du dir ein kurzes Audio dazu anhören.

Die Auswirkungen des Radikalenerlasses waren weitreichend...

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Obwohl der Erlass formal gegen Links- und Rechtsextremisten gerichtet war, traf er in der Praxis fast ausschließlich Menschen aus dem linken politischen Spektrum:

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Die Betroffenen erlitten nicht nur berufliche Nachteile, sondern auch finanzielle Einbußen, die sich bis heute auf ihre Altersversorgung auswirken. 

Hauptsächlich betroffene Gruppen:

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Die Gewerkschaften reagierten sehr kritisch:

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Trotz der Aufhebung des Erlasses in den 1980er Jahren kämpfen Betroffene und Gewerkschaften weiterhin für eine vollständige Aufarbeitung, Rehabilitierung und Entschädigung.

1968 - ein bekanntes Jahr - meist unter dem Namen 68er Studi-Proteste. Aber auch die Lehrlinge protestierten zu dieser Zeit gegen Ausbeutung, schlechte Lehrbedingungen, wenig bis kein Geld, und vieles mehr.
Dies taten sie in mehreren Städten und anders als die Student*innen.

Sie bildeten Lehrlingstheater (Frankfurt/Main, Berlin), Arbeitsgemeinschaften (Essen, Göttingen) oder Jour Fixe wie in Hamburg - und dies taten sie ohne die Gewerkschaften, dessen Bürokratie und Sozialpartnerschaft sich immer mehr von politischen Basisgruppen entfremdete.

ESSEN

"Alle Welt redet von Reformen - wir nicht"

Lehrlingsdemo in Recklinghausen 1970
Foto: Klaus Rose

Lehrlinge schlossen sich beispielsweise in der „Arbeitsgemeinschaft Lehrlinge für eine bessere Berufsausbildung“ zusammen, um gegen veraltete Ausbildungssysteme und undemokratische Strukturen in den Betrieben zu protestieren. Auf Demonstrationen, Flugblättern und Protestplakaten wurden Missstände wie der Missbrauch von Lehrlingen als billige Arbeitskräfte und mangelnde betriebliche Unterweisungen angeprangert. 1970 wurden die Ausbildungs-Missstände auch durch eine Reihe von Prozessen am Landgericht Essen publik, in denen Lehrlinge ihre Sitution in ihren Ausbildungsbetrieben schilderten. Sie beklagten u.a., dass sie anstelle einer geregelten Ausbildung zu Hilfsarbeiten, ausbildungsfremden Tätigkeiten und Botengängen herangezogen würden.

HAMBURG

"Ausbildung ja - Ausbeutung nein!"

Am 6. November 1968 fand in Hamburg die erste selbstständige, von den gewerkschaftlichen Jugendausschüssen initiierte Lehrlingsdemonstration mit ca 1000 Teilnehmenden statt. Die Slogans und Forderungen der Gewerkschafter*innen, waren bald auch auf Demonstrationen in anderen Teilen der Alt-BRD zu hören.

Hintergrund waren die Auseinandersetzungen um die Schaffung eines Berufsbildungsgesetzes. Im Jahre 1968 wurden in der BRD gewerblichen Lehrlinge nach "Omas Gewerbeordnung" aus dem 19. Jahrhundert ausgebildet, für kaufmännische Lehrlinge galten Teile des Handelsgesetzbuches, das ebenfalls aus dem 19. Jahrhundert datierte. Mindeststandards für die Berufsausbildung gab es praktisch nicht. 

Mehr zur Lehrlingsbewegung

BERLIN

Theatergruppe "Rote Steine" - Umbruch Archiv

Das proletarische Lehrlingstheater "Rote Steine" wurde später zur Band Ton Steine Scherben, die zu Theaterzeiten schon Themen der jungen Arbeiter*innen in ihren Liedern behandelten.

FRANKFURT / MAIN bzw. Dietzenbach

In der hessischen Jugendbildungsstätte Dietzenbach war Willi Praml hauptamtlicher Mitarbeiter ab 1971. Dort inszenierte er mehr als 100 Stücke mit benachteiligten Jugendlichen und Auszubildenden.

Viele wurden im früheren "Theater am Turm" (TAT) uraufgeführt. "Ich hätte nach dem Examen zum Theater gehen können, aber mich hat es eher interessiert, Leute, die vom Theater keine Ahnung haben, auf die Bühne zu bringen." So fing er an, mit Bevölkerungsgruppen zu arbeiten, die mit der Bühne nichts am Hut hatten.

"Es ging mir um demokratische Partizipation als Überwindung des faschistischen Erbes." Es ging um die Einstellung der Jugendlichen zu ihrem eigenen Leben. Sozialarbeit sei zwar damit verbunden gewesen, "aber es war hoch künstlerisch. Viele Leute sind daraus hervorgegangen, die im Theater oder beim Film gelandet sind", sagt Praml. "Wir haben kein Polittheater gemacht, sondern prall aus dem Leben der Proletarier."

https://theaterwillypraml.de/naxoshalle/

Der Kampf um die 35 - Stunden Woche

Die Streiks für die 35-Stunden-Woche in den 1980er Jahren markieren einen bedeutenden Meilenstein in der deutschen Gewerkschaftsgeschichte. Aus Sicht der Gewerkschaften war dieser Kampf von entscheidender Bedeutung für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die Umverteilung der vorhandenen Arbeit.

Hintergrund und Motivation

Die IG Metall und die IG Druck und Papier initiierten 1984 einen der längsten und härtesten Arbeitskämpfe in der bundesdeutschen Tarifgeschichte. Ihr Ziel war die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit von 40 auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Die Gewerkschaften verfolgten dabei mehrere Ziele:

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Verlauf des Streiks

Der Streik begann am 14. Mai 1984 und dauerte in der Metallindustrie fast sieben Wochen, in der Druckindustrie sogar 13 Wochen.

Die Gewerkschaften mobilisierten Zehntausende von Beschäftigten, die ihre Arbeit niederlegten und sich vor den Werkstoren versammelten. Die Streiktage wurden zu regelrechten Streikfesten, bei denen Bands und Tanzgruppen aller Nationalitäten auftraten

Herausforderungen und Widerstand

Die Gewerkschaften sahen sich massivem Widerstand gegenüber:

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Strategien der Gewerkschaften

Um diese Herausforderungen zu bewältigen, entwickelten die Gewerkschaften eine offensive Mobilisierungs- und Kampfstrategie:

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Ergebnis und Langzeitwirkung

Obwohl die 35-Stunden-Woche nicht sofort durchgesetzt werden konnte, erreichten die Gewerkschaften einen Einstieg in die Arbeitszeitverkürzung. Die vollständige Einführung der 35-Stunden-Woche in der Metall- und Druckindustrie erfolgte schließlich 1995, nach weiteren Tarifauseinandersetzungen.

Aus Sicht der Gewerkschaften war der Kampf um die 35-Stunden-Woche trotz der Kompromisse ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und ein Beispiel für die Macht kollektiven Handelns. Die Auseinandersetzungen von 1984 gelten bis heute als prägende Erfahrung in der Gewerkschaftsbewegung und als Vorbild für aktuelle Kämpfe um Arbeitszeitverkürzung. 

Am 18. März 1945 wird der FDGB in Aachen gegründet - konnte sich aber in den westlichen Besatzungszonen nicht etablieren.

In der DDR werden am 10. Juni 1945 Gewerkschaften zugelassen, um eine Einheitsgewerkschaft zu bilden. So kam es vom 9. bis 11. Februar 1946 zum ersten FDGB-Kongress. Walter Ulbricht lehnte eine parteipolitische Neutralität dieser Einheitsgewerkschaft ausdrücklich ab.

Mit Widerständen gab es ab 1947/48 auch keine Betriebsräte (Mitbestimmung) mehr. Damit eine zentrale Kontrolle über Aktivitäten im Betrieb gelang wurden Betriebsgewerkschaftsleitungen installiert, die politisch dem Staat/der SED nahe standen.

Der FDGB (Freie deutsche Gewerkschaftsbund) hatte neben der ideologischen Tätigkeit in den Betrieben noch mehr Aufgaben. So war er als Reiseveranstalter bekannt. Aber auch für Kantinen, Krankenbesuche, Verleihungen von Auszeichnungen und Prämien, sowie die Sozialversicherung zuständig. Er betrieb auch Gewerkschaftsbibliotheken - meist in Klubhäusern. In diesen Klubs wurde im Rahmen der Kulturpolitik auch Kunst vom FDGB gefördert, durch Ausstellungen und Erteilung von Aufträgen an bildende Künstler*innen.

Offiziell war die Mitgliedschaft im FDGB freiwillig, inoffiziell war eine berufliche Karriere als Nichtmitglied aber nur schwer möglich. Die Beitrittsgebühr betrug eine Mark der DDR. Die Mitgliedsbeiträge richteten sich nach dem Bruttolohn bzw. Bruttogehalt und wurden anfangs wöchentlich, später monatlich gezahlt. Herangezogen wurden auch Grundstipendien bei Studenten, Renten, Zusatzrenten und Pensionen und Lohnausgleich im Krankheitsfall.

1986 waren 98 % aller Arbeiter und Angestellten im FDGB organisiert und er hatte insgesamt 9,6 Millionen Mitglieder. Der FDGB war damit die größte „gesellschaftliche Organisation“ der DDR und hatte nach der SED mit 61 Abgeordneten die zweitstärkste Fraktion im DDR-Parlament Volkskammer. Er war damit nominell einer der größten Gewerkschaftsverbände der Welt. FDGB-Mitglieder konnten verschiedene Vergünstigungen, wie Fahrpreisermäßigungen bei der Deutschen Reichsbahn anlässlich von Fahrten zu FDGB-Urlaubszielen und Ähnliches in Anspruch nehmen.

Hintergrundtext zum FDGB

Mitgliedskarte FDGB Thüringen
© Sammlung DDR Museum, Berlin.

Die anhaltende Relevanz der Gewerkschaften: Ein gesellschaftspolitischer Blick

Seit ihrer Gründung im 19. Jahrhundert haben Gewerkschaften eine zentrale Rolle in der Gestaltung unserer Gesellschaft gespielt. Ihre Bedeutung reicht weit über den Arbeitsplatz hinaus und hat tiefgreifende Auswirkungen auf die soziale, wirtschaftliche und politische Landschaft.

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du hast es geschafft. Wir sind am ende des 3. teil der arbeiter*innenbewegung angekommen. hier unten kannst du dich einbringen, wenn du möchtest.

Anmerkungen, Kritik und Verbesserungsvorschläge zu dieser Selbstlerneinheit bitte an onlinebiz@verdi.de

Hier nebenan kannst du überlegen, was dein Beitrag zur Gewerkschaft sein kann.

Danke das du unsere kleine Selbstlerneinheit besuchst hast. Hast du Lust auf mehr? 

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